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Reading Global: Constructions of World Literature and Latin America

 

Projektzeitraum: 1.9.2015-31.8.2021

Projektförderung: Consolidator Grant des European Research Council (ERC)

Projektbeschreibung
Bei der Betrachtung des in den vergangenen 15 Jahren höchst produktiven und heterogenen Forschungsfeldes um das Konzept der Weltliteratur fällt auf, dass beinahe alle relevanten Beiträge im Rahmen dieser neuen Theoriebildung ihre jeweiligen Ansätze um zwei Grundproblematiken globaler literarischer Phänomene herum konstruieren: Einerseits wird Weltliteratur nicht mehr als statischer Kanon einer Reihe herausgehobener und verbindlicher Werke betrachtet, sondern als komplexer und dynamischer Prozess im Sinne historisch variierender, weltweiter Rezeptionsvorgänge (vgl. etwa Damrosch 2003, Ette 2012 sowie die Arbeiten in Küpper 2013). Andererseits eint die gegenwärtigen Theoriedebatten das Wissen um die unauflösliche Problematik der Materialfülle und die damit verbundene Operationalisierbarkeit ihres Analysegegenstandes, mit welcher sich letztlich jede unter dem Label der Weltliteratur laufende Untersuchung  konfrontiert sieht, oder wie es Moretti formuliert: “[W]e are talking of hundreds of languages and literatures here. Reading ‘more’ seems hardly to be the solution” (2000: 55).

Die Antworten, welche die aktuelle Theoriebildung auf diese beiden Zentralprobleme der Auseinandersetzung mit Weltliteratur zu geben versucht hat, müssen dabei insofern als kritisch und unzureichend betrachtet werden, als sie ihr selbst formuliertes Wissen um die Bedeutung von Zirkulationsprozessen innerhalb globaler literarischer Felder und das Problem der Materialmengen auf der konkreten Analyseebene nicht umzusetzen vermögen. Diese Problematik liegt vor allem in der disziplinären Beschränktheit einer rein literaturwissenschaftlichen Analyseperspektive und ihrem damit verbundenen Unvermögen begründet, eben jene die textimmanente Ebene überschreitenden materiellen und wirtschaftlichen Faktoren globaler Zirkulationsprozesse von Literaturen einzubeziehen, welche die gegenwärtige Theoriebildung als fundamental für das “Funktionieren” von Weltliteratur voraussetzt.

Der innovative Charakter von Reading Global besteht daher in der Eröffnung einer neuartigen Forschungsperspektive mit drei zentralen Ansatzpunkten, die sich aus den genannten fundamentalen Defiziten der aktuellen Theoriebildung zum Konzept der Weltliteratur ergeben:

1. Interdisziplinarität: Erstmals soll der Bedeutung und Komplexität von Selektions- und Zirkulationsprozessen im Rahmen der Weltliteratur-Forschung insofern Rechnung getragen werden, als literaturwissenschaftliche Ansätze explizit mit Modellen der Kulturwissenschaft, der Visual Studies und der Wirtschaftswissenschaften verzahnt werden. Statt wie bisherige Beiträge zur Weltliteratur-Theorie nurmehr pauschal auf die Wichtigkeit materieller, ökonomischer und visueller Dimensionen innerhalb globaler literarischer Felder zu verweisen, bilden diese besagten Dimensionen die Foki der unterschiedlichen Teilprojekte von Reading Global, um auf diese Weise erstmals konkrete Aussagen über die komplexen Verflechtungen von Literatur, Markt und kollektiven kulturellen Imaginarien im Rahmen weltweit zirkulierender Literatur treffen zu können.

2. Materialität: Fokussiert die bestehende Theoriebildung zur Weltliteratur nahezu ausschließlich literarische bzw. literaturgeschichtliche und philosophische Texte zur Formulierung ihrer Hypothesen zum Forschungsgegenstand, so will Reading Global insbesondere die materiellen Dimensionen literarischer Zirkulationsprozesse in den Blick nehmen, die Aufschluss über die konkreten Faktoren für die Selektion und Rezeption dieser sich weltweit im Umlauf befindlichen Literaturen geben können. Hierzu zählen insbesondere jene Materialien, die im Rahmen der Zirkulation der betreffenden literarischen Werke jenseits ihrer textinhärenten Merkmale entscheidende Erkenntnisse versprechen, wie etwa Korrespondenzen zwischen Autoren, Verlegern und Übersetzern, Marketingmaterialien zur Bewerbung von Büchern, Verkaufsstatistiken, etc. Über vergleichende Studien in internationalen Verlagsarchiven soll erstmals diese bislang noch kaum erforschte, aber entscheidende materielle Dimension literarischer Selektions- und Zirkulationsprozesse erschlossen und im Anschluss an die oben genannten Beiträge der Weltliteratur-Forschung in die Theoriedebatten eingebracht werden, um somit das Postulat der Bedeutung dieser Prozesse anhand empirisch belastbaren Materials auch tatsächlich einzulösen.    

3. Spezifizität: Unabhängig davon, ob sich die aktuellen Arbeiten zur Weltliteratur unter der Prämisse eines close reading (Damrosch, Casanova) oder eines distant reading (Moretti) vollziehen – stets haftet der jeweiligen Selektion von Texten eine Form von Beliebigkeit an. Zwar sind diese vergleichenden Lektüren bekannter und weniger bekannter Werke unter dem Prisma der Weltliteratur durchaus in der Lage, neue und fruchtbare Konstellationen von Texten zu entwerfen (vgl. etwa die Analysen von Rosendahl 2008), letztlich aber verfehlen bzw. verunmöglichen sie aufgrund der geographischen wie zeitlichen Heterogenität der von ihnen untersuchten Texte die Analyse der innerhalb konkreter globaler literarischer Felder zu einem bestimmten Zeitpunkt waltenden Faktoren. Mit Blick auf diese Defizite verbindet Reading Global die genannte interdisziplinäre Perspektive erstmals mit einer Analyse der globalen Zirkulationsprozesse einer konkreten literarischen und kulturellen Weltregion innerhalb eines klar festgelegten Zeitraumes am Beispiel der lateinamerikanischen Literaturen zwischen 1959 und heute. Diese Konkretheit des Untersuchungsgegenstandes soll es ermöglichen, anhand der Analyse eines kulturell wie historisch relativ geschlossenen Teilgebiets der Weltliteratur die Beliebigkeit bisheriger Ansätze zu überwinden, eine erhöhte Operationalisierbarkeit zu erzeugen und über diese relative Stabilität und Homogenität des Analyseobjektes empirisch belastbare Aussagen über konkrete Funktionsmechanismen innerhalb globaler literarischer Felder zu treffen.
 

Teilprojekte